Jazzfest Berlin
31. Oktober bis 05. November 2017
An vier Tagen gibt es nicht nur im Haus der Berliner Festspiele ein abwechslungsreiches Programm für alle Jazzliebhaber.
Berlin- Das Festival 2017
In einer Welt, in der tagtäglich Mauern errichtet und Grenzen befestigt werden, in der Staatsführer*innen kulturellen Isolationismus fördern und Minderheiten ausgegrenzt werden, und in der Kindern beigebracht wird, dass sie sich vor Diversität fürchten müssen, ruft uns der Jazz eine ganz simple Tatsache in Erinnerung: Menschen und Gesellschaften sind dann am besten aufgestellt, wenn sie im Geiste von Offenheit und Inklusion zusammenarbeiten.
Aus den Geschichtsbüchern wissen wir, dass die ersten Jazzplatten im Jahr 1917 aufgenommen wurden. Seitdem hat dieses Musikgenre beispielhaft gezeigt, wie Weiterentwicklung vor allem durch Zusammenarbeit entsteht, und zwar nicht nur zwischen einzelnen Musiker*innen, sondern auch zwischen scheinbar grundverschiedenen Kulturen. Das Jazzfest Berlin 2017 wird erneut veranschaulichen, dass der Jazz, während er seinen kostbaren afroamerikanischen Kern bewahrt, ganz ungeachtet ihrer Herkunft alle diejenigen willkommen heißt, die auf ihrem Recht bestehen, anders zu sein, Orthodoxie zu hinterfragen und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit anderen zu finden. Aus diesem Grund beginnt das auf nunmehr sechs Tage verlängerte Festival in diesem Jahr nicht an seinem Wilmersdorfer Stammplatz, sondern in Kreuzberg – wo zahlreiche Kulturen aufeinandertreffen und mit Bands, die aus Rap, Hip-Hop, Poetry und den musikalischen Perspektiven Indiens und Afrikas reizvolle neue Kombinationen erschaffen.
Zum ersten Mal in den 54 Jahren seines Bestehens wird das Festival einen Artist-in-Residence haben: Der in New York ansässige Komponist, Schlagzeuger und Bandleader Tyshawn Sorey wird sowohl mit seinem Trio zu hören sein als auch in einem Late-Night-Konzert, bei dem er als Solist und im Duo mit dem Berliner Saxophonisten Gebhard Ullmann auftritt. Außerdem wirkt Sorey in einem nach der sogenannten „Conduction“-Methode geleiteten Konzert mit, das eigens für das Jazzfest konzipiert wurde und verschiedene Musiker*innen aus der Berliner Musikszene integriert.
Ein Großteil der komponierten Musik des diesjährigen Programms wurde eigens für das Festival geschrieben. Die ca. 60-minütige Komposition, die der Trompeter Ambrose Akinmusire vorstellt, basiert auf Aufnahmen aus dem Jahr 1939, in denen die Stimme einer weiblichen Strafgefangenen im amerikanischen Bundesstaat Mississippi zu hören ist. Der irakisch-amerikanische Trompeter Amir ElSaffar und sein Ensemble spielen eine Eigenkomposition, die die außergewöhnliche Akustik der evangelischen Kirche Am Hohenzollernplatz miteinbezieht. Geir Lysne, Leiter der NDR Bigband, dirigiert eine Uraufführung, die die traditionelle Musik seiner norwegischen Heimat reflektiert. Ebenfalls aus Norwegen stammen die sieben Sängerinnen von Trondheim Voices, die in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche auf den Organisten Kit Downes treffen.
Der Gitarrist Nels Cline ist vor allem als Mitglied der Rockband Wilco bekannt. Er reist mit seinem Projekt „Lovers“ an und spielt gemeinsam mit einem Kammerorchester Jazzstandards und Broadwaymelodien. Dr. Lonnie Smith, einer der großen Interpreten der Hammond-B3-Orgel, prägt mit gefühlvoller Wärme das Programm. Zwei Pianisten ganz unterschiedlicher Generationen spielen unbegleitet: Michael Wollny, der Jungstar des europäischen Jazz, gibt eines seiner seltenen Solokonzerte. René Urtreger wird anschließend an eine Vorführung von Louis Malles „Fahrstuhl zum Schafott“ auftreten und auch über seine Erinnerungen an die Aufnahmen der dazugehörigen Filmmusik mit Miles Davis 1957 in Paris sprechen. Zum Abschluss des Jazzfest Berlin 2017 wird John Beasleys preisgekrönte Bigband MONK’estra zu hören sein, zum ersten Mal mit dem deutschen Startrompeter Till Brönner als Gast.
In diesem Jahr wird das Festival zum dritten und letzten Mal von seinem britischen Kurator gestaltet. Da Berlin und London in absehbarer Zukunft nicht mehr Teil derselben Europäischen Gemeinschaft sein werden, erscheint es nur richtig, dass im Jahr 2017 Musiker*innen aus beiden Städten an drei Abenden im intimen Rahmen des A-Trane mit vereinten Kräften und in bisher noch nicht gehörten Kombinationen stichhaltige Argumente für kulturelle Zusammenarbeit liefern. Sie und die circa 150 weiteren Musiker*innen dieses Festivalprogramms werden beweisen, dass die Botschaft des Jazz am wertvollsten ist, wenn sie, wie Ornette Coleman einmal sagte, „in allen Sprachen“ ihren Ausdruck findet.
Richard Williams
Künstlerischer Leiter Jazzfest Berlin
Thomas Oberender
Intendant Berliner Festspiele
50 Jahre Jazzfest Berlin
Im Jahr 2014 feierten die Berliner Festspiele 50 Jahre Jazzfest Berlin. Die Ereignisse um den Martin Luther King Besuch 1964 in Berlin und 25 Jahre Mauerfall wurden auch beim Jazzfest mit einer Reihe von Programmpunkten thematisiert. Die WDR Big Band präsentierte mit dem Sänger Kurt Elling ein speziell für das diesjährige Jazzfest zusammengestelltes Programm mit dem Titel „Freedom Songs“. Der britische Saxofonist und Rapper Soweto Kinch reflektierte in seiner Musik sozialkritische Themen. Der künstlerische Leiter des Jazzfest Berlin 2014 war Bert Noglik. Sein Nachfolger ist der Brite Richard Williams.
Jazzfest bekommt neue künstlerische Leiterin
Wie die Berliner Festspiele Mitte April 2017 bekannt gaben, wird die Kuratorin Nadin Deventer 2018 künstlerische Leiterin des Jazzfestes Berlin. Sie löse Richard Williams ab, der das Festival seit 2015 leitete und sich in diesem Jahr verabschiedet.
Der Kulturverführer Berlin schreibt:
Im traurigen Monat November verheißt das JazzFest Berlin ein bisschen Trost. Das 1964 gegründete Festival gehört zu den wichtigsten Veranstaltungen des zeitgenössischen Jazz. In den ersten beiden Jahrzehnten dominierten noch überwiegend US-amerikanische Stars das Festival, was für seinen Nimbus gar nicht so schlecht war. In den 80ern legte man dann den Schwerpunkt erfolgreich auf Jazz als Weltmusik. 2012 hat der Journalist und Kurator Bert Noglik die Festivalleitung von dem renommierte Jazz-Posaunisten Nils Landgren übernommen.
Jazzfest Berlin 2017
31. Oktober bis 05. November 2017